Tumultuöse Zeiten?


Viele von uns sprechen davon, dass wir in tumultuösen Zeiten leben. Aber tun wir das wirklich? Oder anders gefragt: Gab es solche Zeiten nicht schon immer? Ich denke nur an die DDR vor etwas mehr als 30 Jahren. Alles war auf Krawall gebürstet, nichts war mehr so wie früher. Und als die Mauer fiel, war das ein totaler Neubeginn, und natürlich nicht für jeden ehemaligen DDR-Bürger begrüßenswert, für die meisten jedoch eine Riesen-Chance.

Meine Großeltern haben den Beginn des Radios in den 20er Jahren miterlebt. Mein älterer Bruder war gerade mal ein Jahr alt, als in der Schweiz die erste Fernsehsendung über den Äther flimmerte.
“Was beliebt?” fragte am 2. Oktober 1880 das “Fräulein vom Amt” in Zürich den ersten Anrufer im ersten Telefonnetz der Schweiz. Meine Urgroßeltern gehörten vielleicht auch zu den Menschen, die das Telefon als “unnütze Spinnerei” abtaten.
Um das Jahr 1900 herum fuhren in der Schweiz die ersten Autos. Wenn einer mit 30 km/h durch ein Dorf fuhr, wurde er als “gefährlicher Raser” bezeichnet.

Ganz zu schweigen von den tumultuösen Zeiten im Ersten und Zweiten Weltkrieg. Oder von der industriellen Revolution, die gegen Ende des 18. Jahrhunderts begann und sich weit ins 19. Jahrhundert hineinzog.

Was ich sagen will: Wenn man sich die Weltgeschichte betrachtet, kommt man zum Schluss, dass das, was wir zur Zeit erleben, nicht die Ausnahme ist, sondern die Regel. Willkommen im Alltag!

Was bedeutet das für uns? Auch da hilft ein Blick in die Geschichte. Wer in einer Umbruchzeit krampfhaft am Alten festhielt, dem ging es nicht besonders gut. Wer sich zuversichtlich dem Neuen zuwandte, der musste zwar ein wenig über seinen Schatten springen, aber dann ging es ihm – ganz nach der aristotelischen Heldenreise – ausnehmend gut.

Woraus besteht also das Neue, an das wir uns gewöhnen sollten? Hier ist mein Versuch einer möglichst vollständigen Aufzählung:

  • Die Menschen geben sich nicht mehr mit einem Beruf zufrieden, der lediglich dem Broterwerb dient und das Thema “Erfüllung” völlig außer Acht lässt. Für Unternehmer bedeutet das, dass sie eine völlig neue Art der Führung lernen müssen. Das Motto kann nicht mehr lauten: “Ich bezahle dich angemessen, und deshalb musst du mir gefügig sein.” Es muss vielmehr heißen: “Wie kann ich dir bei deinem Seelenweg so behilflich sein, dass du Erfüllung erfährst und dadurch unserer Firma zu einem guten Wachstum verhilfst?”
    Technologie-Konzerne wie Google versuchen schon so etwas, indem sie ihren Mitarbeitern erlauben, dann Pausen zu machen, wenn sie es für nötig halten, und indem sie ihnen spielerische Aufenthaltsräume und gesundes Essen offerieren. Die Frage ist bloß, ob es den Konzernen dabei wirklich um das Seelenheil ihrer Mitarbeitenden geht, oder ob sie damit lediglich bewirken wollen, dass diese möglichst 24 Stunden pro Tag in der Firma verbringen. Ich weiß es nicht; ich stelle nur die Frage.

  • Wir werden uns möglicherweise an ein neues Geldsystem gewöhnen müssen, obschon ich keine Ahnung habe, was das sein könnte. In meinem Alter hätte ich wohl große Mühe, mich mit Kryptowährungen anzufreunden, aber wenn das tatsächlich das Bezahlsystem der Zukunft wird, müssen wir wohl in den sauren Apfel beißen. Einige Krypto-Freaks behaupten ja, dass diese neue Währung besser gegen Inflation geschützt sei, weil die Stückzahl begrenzt sei. Ich habe da meine Zweifel, denn obwohl die Stückzahl begrenzt ist, ist doch der Wert, den wir der Währung beimessen, unbegrenzt.

  • Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass ganz viele herkömmliche Berufe aussterben. Natürlich entstanden in den letzten Jahren auch unzählige neue Branchen, und irgendwann wird das für eine zukünftige Generation normal sein. Aber in der Übergangszeit werden wir uns um diejenigen Menschen kümmern müssen, die man nicht einfach mal eben von einem Landwirt zum VR-Programmierer umschulen kann. Ein bedingungsloses Grundeinkommen klingt revolutionärer, als es ist. Wir gewähren ja bereits jetzt einer stattlichen Anzahl Menschen ein solches Grundeinkommen in Form von Arbeitslosengeld. In Deutschland sind das zur Zeit etwa 3,2 Millionen Menschen, in Österreich 240’000, in der Schweiz immerhin 90’000. Zählt man den administrativen Aufwand dazu plus die Arbeit der Kontroll-Organe, ergibt das einen Betrag, der zwar noch kein Grundeinkommen für alle Bürger ab 18 Jahren finanzieren würde, aber mit einer Mikrosteuer auf Finanz-Transaktionen wäre das durchaus bezahlbar.
    Natürlich bedingt es, dass wir die Finanzbranche nicht derart überbewerten und mit Steuervergünstigungen verpäppeln wie bisher. Aber dieses Problem löst sich möglicherweise aufgrund eines Mega-Finanzcrashs von selbst.

  • Die Welt wächst trotz allen Globalisierungsgegnern zusammen. Das hat auch Vorteile. In Amerika zum Beispiel kann es schon deswegen keinen Bürgerkrieg geben, weil dieses Land nicht mehr, wie seinerzeit, in Nord- und Südstaaten aufgeteilt ist. Der politische Gegner wohnt heute im Nachbarhaus. Wenn es zu einem Bürgerkrieg käme, müsste man an jedem Haus anschreiben, welcher Gesinnung die Bewohner angehören, damit man weiß, ob man sie bekämpfen oder sich mit ihnen verbünden soll.
    Das heißt, wir kommen nicht darum herum, vermehrt andere Meinungen zu tolerieren. Ich muss in dieser Hinsicht gerade besonders viel an mir arbeiten, da mein Youtube-Kanal zur Zeit abgeht wie eine Rakete. Und wie bei jedem erfolgreichen Kanal, tummeln sich auch die Neider und Hasser in den Kommentarspalten. Während ich diese Leute bisher gesperrt habe, möchte ich ihnen künftig mit meiner intellektuellen Pfiffigkeit begegnen und versuchen, ob ich sie, wenn schon nicht zum Umdenken, dann wenigstens zum Nachdenken motivieren kann.

Viele Esoteriker sprechen vom Paradies, das wir bald auf der Erde haben werden. Ich glaube das nicht, denn es kann ja nicht Sinn und Zweck dieser materiellen Erfahrung sein, im Paradies zu leben. Das hatten wir in der geistigen Welt schon lange, und wir werden es auch wieder lange haben.
Aber eine völlig andere Welt? Ja, das bestimmt. Und wenn sich jemand damit schwertut, dann sollte er sich einfach fragen, ob er zurück möchte in die Welt der Pferdekutschen, wo Pferdemist ein fast so großes Problem war wie unser heutiger Klimawandel, oder ob er in die tv-, telefon- und computerlose Zeit unserer Großeltern zurückkehren möchte.

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